Vertrauensverlust

Das Urvertrauen ins Leben, in die Welt und in unsere Mitmenschen lässt uns in der Regel eine natürliche Leichtigkeit erleben. Wir überlegen uns nicht jeden Tag, dass der Tod uns jederzeit einholen oder unser Leben von grausamer Gewalt überrollt werden könnte. Das Leben nimmt so seinen Lauf und wir vertrauen. Wir wissen zwar, dass wir alle irgendwann sterben werden, doch fühlen wir uns dadurch meist nicht bedrängt.

Wenn Eltern ein Kind erwarten, ist meist unser Urvertrauen aktiv und wir stellen uns guten Mutes auf eine Abenteuerreise ein. Wenn ein Kind stirbt, sei es völlig unvorhergesehen oder auch nach einem längeren Ringen mit einer Krankheit, verlieren viele Eltern ihr Urvertrauen ins Leben. Diese Erfahrung erschüttert die Wurzel unseres Daseins. Es ergibt keinen Sinn, dass ein Baby sein Leben nicht erleben darf, dass Eltern ihr Kind nicht aufwachsen sehen dürfen. Dies widerspricht aller Sinnhaftigkeit und kann uns Betroffene zur Verzweiflung bringen. Wir erleben einen Vertrauensverlust in uns, in das Leben, in unser System und in unsere Welt.

Das Leben und den Tod nicht in der Hand zu haben, ist für uns Menschen, gerade hier im Abendland, schwer zu akzeptieren. Den Gedanken zuzulassen, dass es Dinge im Leben gibt, die nicht kontrollierbar und komplett sinnlos sind, macht viele von uns fassungslos. Es geht nicht auf. Wieso muss ein Mensch sterben, der das Leben eigentlich erst angefangen hat? In diesem Prozess suchen viele nach Antworten, versinken in der Schuldfrage oder in irrationalen Gedanken. Es ist vielleicht leichter, jemandem oder einer Ursache die Schuld zuzuweisen und dies auszuhalten, als einen völlig grundlosen, unkontrollierbaren Weltengang ertragen zu müssen. In einer solchen Verlustsituation stellen wir vielleicht auf einmal fest, dass das Leben nicht berechen- oder kontrollierbar ist, so wie wir uns dies oft ausmalen.

Die Folgen dieses schmerzhaften Vertrauensbruches werden uns für lange Zeit begleiten. Wir müssen wieder lernen, Vertrauen zu finden: in uns, in unser Tun, in unser Sein. Dies kann gelingen, wenn wir akzeptieren, dass wir das Leben nur zu einem kleinen Teil in der Hand haben. Es kann uns helfen, wenn wir darüber reden. So können wir einen Beitrag leisten, dass wir Menschen uns vermehrt besinnen und uns bewusst werden, dass wir nicht unendlich lange leben können und dass wir nicht alles beeinflussen können, so wie wir es generell gern hätten. Wir werden vielleicht nie mehr zu unserem alten Urvertrauen zurückfinden, so wie wir es uns gewohnt waren. Doch können wir durch diese Erfahrung ein neues Vertrauen in uns aufbauen. Ein Vertrauen, dass wir selbst solche schwierigen Momente packen und sie überleben können. Dazu braucht es die Einsicht, dass wir selber nicht Schuld haben. Dazu braucht es Zeit und Raum, um ein Verständnis dafür zu entwickeln, was passiert ist. Dazu braucht es die Liebe zum verstorbenen Kind.

Wir haben nun die Einsicht und die Erfahrung, dass wir Vieles nicht steuern können, so wie wir es vielleicht früher gedacht haben. Wir müssen uns in dieser Umbruchsituation neu orientieren. Wir können lernen, dass unser Leben auch und gerade mit dieser Erfahrung kostbar und lebenswert ist. Vielleicht ist es Zeit, dass wir den Fokus unseres Lebens ändern und wir nun zwar mit einem Schmerz, aber auch mit neuen Stärken und mit einer neuen Liebe weiter durch unser Leben ziehen können.

Wir können das, wir dürfen das. Und unsere Kinder wünschen uns bestimmt nichts mehr, als dass wir Leichtigkeit erleben. Und so, früher oder später, das Vertrauen in dieses Leben wieder erfahren dürfen.

Dies wünschen wir Euch von ganzem Herzen.


Was uns helfen kann:

  • Sich Zeit geben für die Trauer, die Wut und alle Gefühle, die in uns sind.

  • Gespräche führen über das Leben und den Tod.

  • Die eigene Spiritualität entdecken und leben.

  • Über Schuldgefühle sprechen.


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