Hast du Kinder?

Fragen rund um das Thema “Kinder haben” werden in unserer Sprachkultur als selbstverständlich verstanden und meist relativ direkt gestellt. Dass solche Fragen in ihren verschiedenen Formen unter gewissen Umständen nicht einfach zu beantworten sind, ist vielen Menschen nicht bewusst.

Für uns Sterneneltern können Fragen wie “Hast du Kinder?”, “Wie viele Kinder hast du?” oder “Willst du ein (weiteres) Kind?” sehr unangenehm sein. Wir müssen uns jedes Mal entscheiden, ob wir die Wahrheit oder eben eine Unwahrheit mitteilen sollen. Die damit verbundenen Gefühle und Gedanken immer wieder mit sich selber auszuhandeln und dabei die möglichen Reaktionen des Fragenden auf die Wahrheit abzuschätzen, kann eine Herausforderung sein. Manchmal werden wir von unseren eigenen Gedanken- und Gefühlsketten auch etwas “überfallen”, was zu einer verhaltenen Antwort unsererseits führen kann.

Wenn wir uns für die Wahrheit entscheiden, also aussprechen, dass wir ein Kind haben, das gestorben ist, werden wir mit sehr unterschiedlichen Reaktionen konfrontiert. Eine vielfältige und für uns schwer einschätzbare Betroffenheit wird ausgelöst, da Viele noch nie damit konfrontiert wurden, dass ein Baby gestorben ist. Wir Betroffenen müssen diese teilweise auch schwierigen Reaktionen des Gegenübers wie z.B. Sprachlosigkeit, Tränen oder unbeholfene Floskeln mit aushalten, was uns je nach eigener Verfassung kaum erträglich vorkommt. Es kann sogar passieren, dass wir uns daraufhin ähnliche Geschichten von unserem Gegenüber anhören müssen, von Menschen, die wir nicht kennen.

Manchmal entstehen aber auch schöne Gespräche, die uns eine echte Anteilnahme spüren lassen. Möglicherweise hat unser Gegenüber selber Ähnliches erlebt, was eine starke Verbindung schaffen kann. Gerade ältere Generationen haben einen anderen Umgang mit dem Erlebten lernen müssen, sie sprechen oder sprachen nicht über ihre Sternenkinder, da es ihnen oft auch verweigert wurde, sie “öffentlich” als Kind anzuerkennen. Da kann ein Austausch bereichernd für beide sein.

Bei der Wahrheit ist das Wundervolle, dass wir unserem verstorbenen Kind den Platz geben, welchen es für uns hat. Bei all den Schwierigkeiten im Umgang mit unserem Verlust, welche wir als Eltern ertragen müssen, dürfen wir uns auch fragen, warum wir andere vor unserem Schicksal/Erlebten verschonen sollten. Und doch brauchen wir jedes Mal wieder Stärke, Mut und Vertrauen, von unserem verstorbenen Kind zu berichten.

Wenn wir uns für die Unwahrheit entscheiden, also sagen, wir haben kein Kind oder die Anzahl der lebenden Kinder nennen, werden wir oft von einem Schuldgefühl, von Verleugnungsgedanken oder von einer Trauer eingeholt, womit wir auch wieder umgehen müssen. An einigen Tagen gelingt uns dies aber auch ganz gut, da wir vielleicht mit dem verstorbenen Kind eine stille Abmachung getroffen haben, dass wir uns für dieses Verschweigen entscheiden, da es uns vor Faktoren schützt, die uns in diesem Moment nicht gut tun.

Manchmal wechseln wir vielleicht in unseren Antworten, stets so wie es uns gerade stimmig ist. Oder wir erzählen die halbe Geschichte unseres Schicksals, sagen beispielsweise wie viele Kinder wir zur Welt gebracht haben. Und belassen es dabei. Das ist alles auch in Ordnung.

Wichtig ist, dass wir uns bewusst sind, dass es kein Richtig oder Falsch gibt. Wir sind nicht verpflichtet, unser Schicksal mit Allen zu teilen. Wir sind nicht verpflichtet, uns mit unserem schwierigen Erlebnis zu exponieren. Wir dürfen aber auch schonungslos sein, dürfen ehrlich sein und dürfen unsere Entscheidung selber und situationsabhängig fällen. Manchmal da kommt der Zeitpunkt erst später, wo wir unserem Gegenüber sagen, was unsere Geschichte ist.

Was uns dabei helfen könnte:

  • Wenn das Geschehene beim Erzählen bei uns viel auslöst und aktiviert, dürfen wir formulieren, dass wir gerade nicht mehr dazu sagen wollen. Oder aber wir sagen sehr direkt, dass alles gefragt werden darf. Je nachdem was uns gerade gut tut.

  • Benennen wir das, was uns gut tut. Das kann auch dem Gegenüber helfen, einen angebrachteren Umgang aufnehmen zu können.

  • Wir können gewisse Sätze vorbereiten, für den Fall, dass uns die Betroffenheit des Gegenübers unangenehm oder unangebracht erscheint. Zum Beispiel kann man anfügen, dass man selber einen guten Umgang gelernt habe, um damit zu leben. Das kann signalisieren, dass wir keinen Trost suchen oder dem Gegenüber die Möglichkeit geben, positive Gedanken zuzulassen - ob dies so ist oder nicht, sei uns selbst überlassen.

  • Weitere mögliche Antworten:

    • “Es fällt mir schwer, diese Frage zu beantworten, da es nicht immer so einfach ist, wie wir es uns manchmal wünschen…”

    • “Ich habe (Anzahl) Kinder. Eines ist leider bereits gestorben… Ich bin dankbar, dass es dennoch seinen Platz in unserer Familie hat.”

    • “Ich habe (Anzahl) Kinder. Ich habe einen guten Umgang gefunden, mit der schwierigen Situation zu leben.”

    • “Ich hab ein Kind in meinem Bauch und eines im Herzen/Himmel (oder wo wir es uns vorstellen)."

    • “Ich habe (Anzahl) Kinder, (Anzahl) an der Hand und eines im Herzen.”

    • “Ich habe das Glück, ein Kind zu haben, auch wenn es traurigerweise nicht mehr bei/unter uns ist.”

    • “Ich habe ein Kind - es wäre jetzt 2 Jahre alt.” oder: “Ich habe drei Kinder. Sie sind sieben und vier Jahre alt, und das Jüngste wäre jetzt Zwei.”

    • “Ob ich ein (weiteres) Kind haben will, weiss ich nicht. Das ist eine sehr intime Frage.”

    • “Ich habe (Anzahl) Kinder. - Ja es ist streng, wobei eines mich anders beschäftigt als die anderen beiden.”

    • “Ich habe kein Kind bei mir, aber einen Engel.” oder: “Ich habe ein Kind und einen Engel.”

Im Austausch mit Eltern, die bereits seit Längerem mit einem verstorbenen Kind ihren Lebensweg gehen, fällt auf, dass alle immer wieder unterschiedliche Antworten geben. Einige berichten auch, dass sie mit der Zeit spürten, wann sie welche Antworten geben möchten. Aber alle berichteten auch, dass sie teilweise auch viele Jahre später noch Situationen erleben, die schwierig auszuhalten sind. Keine Antwort sei für alle Situationen immer passend, doch die eigene Sicherheit wachse, und das sei hilfreich und verleihe eine gewisse Stärke.