Starke, schöne Zora.

Die Idee des dritten Kindes.

 Für mich war die Vorstellung schon früh klar, ich wünschte mir mindestens drei Kinder. Mein Mann wünschte sich einen Haufen, er sagt immer Elf. Er sagt dies, da er schon einige Schicksalsschläge erlebt hat, und weiss, dass das Leben nicht planbar ist ... ich verstehe dies erst jetzt, warum er dies immer noch so sagt ... die Zahl. Elf.

Als dann wieder der Abstand von 2 Jahren in Sicht war, mit welchem wir gute Erfahrungen gemacht hatten, entschieden wir, uns auf ein weiteres Abenteuer einzulassen. Bereits kurze Zeit später überflog mich eine Müdigkeit, die mir sagte, dass ich schwanger war. Wir freuten uns. Ich freute mich sehr.

Die Schwangerschaft.

Das erste Trimester ging bis auf Übelkeit und tiefen Blutdruck soweit gut. Mir sowie meiner Kleinen ging es gut.

Ab dem zweiten Trimester spürte ich die Anstrengungen, die zwei Kinder so mit sich bringen. Ich fühlte mich rasch an meiner körperlichen Grenze, diverse kleinere Beschwerden erschwerten mir den Alltag mit Familie. Frühzeitige, sehr schwache Wehen machten mir klar, dass ich kürzer treten muss. Ich konnte bei der Arbeit reduzieren und schliesslich hörte ich da dann ganz auf. Im Oktober fühlte ich mich rasch und häufiger komplett überfordert. Emotional wie körperlich.

Im dritten Trimester musste ich aufgrund von regelmässigen Kontraktionen erneut zur Kontrolle.  Es wurde alles angeschaut. Dem Baby ginge es gut, die Wehen seien nicht wirksam, vermutlich sollte ich definitiv mehr abgeben, auch zu Hause. Mich schonen und mich in den noch bevorstehenden 6-8 Wochen mehrheitlich hinlegen. Mit medikamentösen Massnahmen wurden die Kontraktionen gehemmt, und ich mobilisierte mein soziales Netz für die Kinderbetreuung, welche mein Mann und ich nicht mehr selber übernehmen konnten.

Ich kam beim Liegen mehr zur Ruhe, konnte mich endlich meinem Baby widmen sowie mir und meiner Seele. Oft verspürte ich eine tiefe Verlorenheit, eine tiefe Traurigkeit in mir. Ich ordnete es der Überforderung mit der Situation zu.

Ab der 38. Schwangerschaftswoche blühte ich zunehmend auf. Sagte immer wieder meiner Zora, dass wir es bald geschafft haben. Die Kleine bewegte sich gut, sie wirkte kräftig und doch auch geduldig. Immer wieder sahen wir die kräftigen, schönen Bewegungen ... Dies war besonders auch für die grossen Beiden spannend. Sie waren während der ganzen Schwangerschaft fest mit dabei. Sprachen viel mit der kleinen Bauchbewohnerin, sie freuten sich riesig auf das Geschwisterchen.

Da ich einen diätisch gut einstellbaren Schwangerschaftsdiabetes hatte, überwies mich meine Gynäkologin wie vereinbart an das Spital. Dieses bot mich in der 39. Woche auf, um das Prozedere zu besprechen. Alles wurde noch einmal angeschaut. Organe, Durchblutung der Nabelschnur, Plazenta. Die üblichen Voruntersuchungen waren unauffällig.

Ich war immer wieder einige Nächte wach, da ich immer wieder unregelmässige Wehen hatte. Spürte die kleine gut. Ich sprach ihr immer wieder zu, dass wir uns freuen, wenn sie in unseren Armen ankommt. Alle waren vorfreudig bereit, nur mich überschattete immer wieder das Gefühl der Verlorenheit. Um eine medikamentöse Einleitung umgehen zu können (Standardverfahren bei Schwangerschaftsdiabetes), wurde mir vom Spital angeboten, eine manuelle Stimulation zu machen. Dies erfolgte einen Tag vor dem errechneten Geburtstermin, dem 7. Dezember 2018.

Nach der Stimulation wurde ich zur Routine an das CTG angeschlossen.  Hatte ich doch auch schon seit einigen Nächten immer wieder leichte, unregelmässige Kontraktionen. Das CTG verlief unauffällig. Aufgrund des normalen Spitalalltages blieb ich etwas länger am CTG als geplant. In dieser „Verlängerung“ zeigte das CTG zweimal minimale Abweichungen der Herzfrequenzen unter Kontraktionen auf. Es wurde mir empfohlen, zu bleiben und einzuleiten. Ich war etwas irritiert, fragte nach, ob etwas nicht stimme mit dem Kind. Ich wurde aufgeklärt, dass aufgrund meines Diabetes grössere Risiken bestünden.

Da mich dieses Gefühl der Verlorenheit und der Traurigkeit wieder einnahm und mein Mann noch nicht bei mir war, rief ich meinem Bruder an, um meinen Gefühlen ein Ventil zu geben. Er fragte mich, warum ich weine. Ich äusserte die Angst, dass meiner Kleinen etwas zustossen könnte, dass sie sterben würde. Nach dem Gespräch fühlte ich mich besser. Ruhiger, atmete durch und begab mich auf die Gebärabteilung.  

Genau zur gleichen Zeit wie mein Mann eintraf, begannen ganz ohne medikamentöse Hilfe die regelmässigen und wirksamen Wehen.

Die Geburt von Zora.

Wir hatten zwei sehr gute Hebammen, welche zusammen mit meinem Mann vor allem meine Pausen gut nutzen, um mich „bei Laune“ zu halten. Halfen mir, die richtigen Positionen zu finden, und es wurde mir genug früh angeboten, dass ich mit Lachgas beginnen könnte, um besser durch die Wehen zu kommen.

Während der Geburt gab es keine weiteren Auffälligkeiten, die ein Hinweis gewesen wären, dass irgend etwas nicht in Ordnung ist. Nach nur vier Minuten Presswehen atmete ich durch und war erleichtert. Geschafft, wir wurden zum dritten Mal Eltern von einem scheinbar vollkommenen und wunderbaren Mädchen.

Zora begann zu schreien, streckte ihre Fingerchen und Arme. Ich war so erleichtert, dass ich, dass WIR es geschafft hatten. Zora und ich. Mein Mann durfte abnabeln und Zora schreite noch einmal. Doch mitten im Schrei sistierte sie.

Ihre Haut verfärbte sich ganz blau, worauf die Hebamme sofort ins Nebenzimmer eilte, um Zora zu beatmen. Bereits beim Hinaustragen verstand ich, dass Zora nicht bei uns sein wird. Nach zwei Stunden kam nach vielen wirren und ungenauen Angaben die klare Nachricht des Neonatologen. Zora kann ihren Kreislauf nicht annähernd selbstständig halten, die Ursache dafür kann nicht gefunden werden. Es würde ihr nun das letzte Medikament verabreicht werden, wenn dies nicht nütze, dann seien ihre Ressourcen aufgebraucht.  

Das Sterben.

Was zwei Stunden Reanimationsversuche für einen Menschen bedeuten,  wussten mein Mann und ich aufgrund unseres Berufes im Gesundheitswesen zu gut.

Wir wünschten uns, Zora bei uns in den Armen zu haben, wollten Zora noch lebend sehen ... Zora wurde uns gebracht. Ein wunderschönes, vollkommenes, starkes Mädchen.

Wir bestaunten sie, schlossen sie fest in die Arme und in unser Herz, bevor sie das letzte Mal ausatmete und leise starb.

Der Schock war riesig, ich realisierte nicht, was da genau passierte. Ich hoffte immer, dass ich endlich von diesem Alptraum erwache. Und doch funktionierten wir für das Wichtigste. Es war uns wichtig, dass unsere beiden grossen Kinder entscheiden durften, ob sie Zora sehen wollten. Dies war keine Frage, sie wollten sie sehen. Sie bestaunten und berührten Zora. Sie stellten wenige Fragen, untersuchten Zora genau, stellten die Unterschiede zu einem lebenden Baby fest. Kamen jeden Tag ins Spital, bis hin zur Beerdigung.


Warum unsere Zora Shari starb, wissen wir trotz Untersuchungen bis heute nicht.








Ein Feriengruss von meinem Bruder. Danke!